KI-freie Zone
Von Stephan Weichert
Kein Grund zur Panik, tönen Arbeitsmarktexperten: Sich ja nicht verrückt machen lassen, das Potenzial in künstlicher Intelligenz erkennen. Trotzdem ist die Branche in letzter Zeit extrem aufgeregt: Verlage testen überhastet neue Anwendungen aus, viele Kolleg:innen sind maximal genervt, manche zutiefst verunsichert. Die Branche oszilliert zwischen Schwarzmalerei, Ahnungslosigkeit und erwartungsvoller Hingabe. Doch bei den meisten überwiegt wohl das mulmige Bauchgefühl, dass KI massive Flurschäden im Journalismus anrichten könnte.
Was bedeutet also KI für die journalistische Zunft? Inzwischen wissen wir, dass KI nicht nur Routineaufgaben kann, sondern auch Anspruchsvolleres erledigt. Wenn man der Maschine die richtigen Befehle zu erteilen weiß. Und so gibt es – frei nach dem Motto „Deutschland such den Superprompter“ – plötzlich immer mehr KI-Jobs.
Journalismus ist eine besonders bedrohte Spezies
Einige Verlage und Agenturen brüsten sich mit teils exotischen Funktionsbeschreibungen. Ob „AI Prompt Crafter“, „Teamlead KI“ oder „KI-Flüsterer“: Klar ist, viele dieser Jobprofile aus der Not herausgeboren sind, egal, ob sie sinnvoll sind oder es jemals werden. Sie dokumentieren vielmehr die Suchbewegungen einer Branche, deren Grundpfeiler immer mehr ins Wanken geraten, je größer der wirtschaftliche Druck wird.
300 Millionen Vollzeitstellen könnten laut einer Studie der Investmentbank Goldman Sachs in den kommenden Jahren in den USA und Europa durch KI wegfallen. Denn ChatGPT und Google Bard sind erst der Anfang. Journalismus gehört zur besonders bedrohten Spezies, weil er mit Kreativ- und Rechercheleistungen sein Brot verdient. Und so ist es wie mit allen Technologien: In den falschen Händen kann KI viel Schlechtes anrichten, nicht nur in der Arbeitswelt, sondern hinsichtlich des sozialen Zusammenhalts schlechthin.
Resilienz im Umgang mit KI
Erstaunlich ist, dass inzwischen jeder mit Dall-E, Midjourney & Co. herumgespielt und stolz ausprobiert hat, wie sich darüber Texte und Bilder generieren lassen. Einige Journalisten haben auch öffentlich erklärt, dass sie „lieber selbst ihre Texte schreiben“ und warum sie glauben, dass ihr Job nicht ersetzt wird. Dennoch ist absehbar, dass auf Reichweiten getrimmte Online-Angebote der Versuchung über kurz oder lang nicht widerstehen, KI dort einzusetzen, wo sie Geld sparen. Die orientierungslose Branche braucht daher eines: Resilienz im Umgang mit KI.
Wir vom VOCER Institut für Digitale Resilienz sehen drei Risikobereiche: Erstens, dass Journalisten der Technologiegläubigkeit verfallen, ohne den Einsatz von KI berufsethisch einzuordnen. Zweitens, dass durch KI erstellte Fantasieinhalte zunehmend mit faktenbasierten Informationen verwachsen, so dass deren Unterscheidbarkeit fehlt. Und drittens, dass die Integrität der Medien weiter schwindet, je mehr Journalisten sich ungeniert KI-Konserven bedienen, ohne diese auszuflaggen.
Wir müssen die richtigen Fragen stellen
Das alles sind keine neuen Herausforderungen, sie werden aber zu wenig reflektiert. Es gibt erst wenige Organisationen wie NewsGuard, die Reichweitenportale überprüfen, deren Inhalte durch KI-Chatbots generiert werden.
Sollten wir Journalismus nun zur KI-freien Zone erklären? Nein, das wäre weltfremd. Der Casus knacksus ist es, die richtigen Fragen zu stellen: Wie verstärkt KI soziale Ungleichheit? Wie kann der KI-Zugang gerechter gestaltet werden? Wie können neue Abhängigkeiten von globalen Tech-Giganten vermieden werden? Und wo muss es Selbstbeschränkungen in beschleunigten Arbeitsprozessen geben? Journalismus sollte sich mühen, erst Antworten darauf zu finden, bevor er der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine blindlings vertraut.
Stephan Weichert ist Medienwissenschaftler und Innovationsberater. Gemeinsam mit Alexander von Streit leitet er das VOCER Institut für Digitale Resilienz, das Bildungsprogramme und systemische Beratung anbietet. (mehr zu Stephan Weichert)