Haltung zeigen
Von Alexander von Streit
Glaubwürdigkeit ist vermutlich die größte Herausforderung, der sich Journalismus in Zeiten der Digitalisierung stellen muss. Also der Frage, was eine journalistische Recherche am Ende von anderen Informationsquellen im Netz unterscheidet – und ob dies vom Publikum auch so wahrgenommen wird.
Klar, Sie kennen natürlich die Antwort darauf, die neben journalistischem Handwerk, Sorgfaltspflicht und Berufsethik viel mit der professionellen Distanz zum Objekt der Berichterstattung zu tun hat. Das sind klassische journalistische Selbstbeschreibungen, die es nicht ohne Grund gibt.
Die schlechte Nachricht ist, dass uns unter Umständen viele Menschen heute nicht mehr glauben, dass wir wirklich so arbeiten.
Trugschluss der journalistischen Objektivität
Es ist doch so: Ein Journalismus, der im digitalen Raum nur noch Teil, aber nicht automatisch Hauptzutat eines Informationscocktails ist, steht unter Druck. Und die Qualitätsstandards, die journalistische Arbeit ausmachen, werden stärker hinterfragt – was ja auf der anderen Seite auch gar nicht so schlecht ist. Die Frage ist, was wir daraus machen, um mit einer gesunden Resilienz auf den veränderten Medienkonsum und die neuen Ansprüche eines Publikums in der digitalen Gesellschaft zu reagieren.
Eine Antwort darauf hat sehr viel damit zu tun, wie wir Journalist:innen mit unserer Haltung umgehen. Ob wir bereit dazu sind, uns als Berufsdefinition ein Stück weit vom Nimbus der Unparteilichkeit zu verabschieden. Und viel offensiver damit umgehen, dass wir alle eine aus Interessen, Ansichten und Persönlichkeit geprägte Agenda haben. Das Problem nämlich sind nicht Journalist:innen mit Haltung, sondern Journalist:innen, die ihre Haltung nicht transparent machen.
Das Credo der journalistischen Distanz ist ein Versprechen, das wir nicht halten können. Und dabei geht es nicht um Aktivismus. Natürlich sollen Journalist:innen mit unparteilichem Blick berichten, und in einem gewissen Umfang lässt sich das auch professionell machen. Aber darüber hinaus ist es ein Trugschluss zu glauben, dass sich die eigene Agenda komplett von der journalistischen Arbeit trennen lässt.
Glaubwürdigkeit durch transparente Haltung
Warum also nicht transparent kommunizieren, was einen antreibt und sich als Mensch mit Meinungen outen, die vielleicht ja auch indirekt in die Berichterstattung einfließen? Das absurde Gegenbeispiel ist die – zugegeben oft arbeitsrechtlich bedingte – Praxis, dass Journalist:innen in ihrem Twitter-Profil den Hinweis hinterlassen, sie äußerten sich hier„privat“. Es zeigt, dass auch viele Medienhäuser noch nicht verstanden haben, dass transparente Haltung ein Gebot des digitalen Zeitalters ist.
Wenn Journalist:innen in ihrer Arbeit glaubwürdig bleiben wollen, bietet ihnen ihre Haltung also sogar eine große Chance. Wir sollten sie nutzen – und so dem Journalismus mehr digitale Resilienz in der Transformation verschaffen.
Alexander von Streit ist Journalist und Mitgründer des Onlinemagazins Krautreporter. Gemeinsam mit Stephan Weichert leitet er das VOCER Institut für Digitale Resilienz, das Bildungsprogramme und systemische Beratung anbietet. (mehr zu Alexander von Streit)