Panik-Booster digitaler Medienkonsum?
3 Tipps zur Resilienz-Stärkung im Digitalen
Die Deutschen sind erschöpft aufgrund ihres digitalen Medienkonsums, manche erleiden einen „News-Burnout“. Viele Menschen löschen in der Krise ihre Social-Media-Accounts. Was können wir tun, um in eine digitale Balance zu kommen?
Von Stephan Weichert
Nicht wenige Leute, die ich kenne, fühlen sich regelrecht ausgebrannt angesichts von Kriegsbildern und Krisenstimmung in den Medien – auch wenn sie in diesen düsteren Zeiten mit aller Kraft versuchen, halbwegs zuversichtlich zu bleiben.
Für unsere großangelegte Repräsentativstudie „Resilienz in der Mediennutzung“ haben mein Kollege Dr. Leif Kramp und ich im Sommer 2022 mit Leuten quer durch ganz Deutschland gesprochen: Von der Pflegekraft aus dem Ruhrgebiet über den Jura-Studenten aus Mecklenburg-Vorpommern bis zum verrenteten Verwaltungsangestellten aus Sachsen-Anhalt. Die Top-Themen, die in den Gesprächen immer wiederkehrten: Sorgen um die eigene Gesundheit (Corona), Panik vor einem Atomschlag (Russland) oder Verzweiflung ob der steigenden Energiekosten (Gas, Atomstrom, Erdöl).
Zuviel Drama und diffuse Panikmache
Ein zentrales Studienergebnis: Der Konsum digitaler Medien verursacht bei vielen Menschen teils „alarmierende Symptome eines psychischen Unwohlseins.“ Die meisten fühlen sich von der Informationsflut erschlagen, entkoppeln sich teilweise vom Nachrichtengeschehen. Push-Mitteilungen, Live-Ticker, Social-Media-Debatten, Nachrichten-Apps mit Hiobsbotschaften – es ist den meisten Menschen einfach zu viel geworden. Manche erleiden sogar einen „News-Burnout“, eine Art Erschöpfungszustand aufgrund ihrer pausenlosen digitalen Mediennutzung.
Laut unserer Studie zeigt sich bei vielen Menschen somit ein unmittelbarer Zusammenhang ihres digitalen Medienhandelns und individuellen Symptomen von Überlastung und Stress. Unsere Studienergebnisse zeigen aber auch: Angesichts eines zunehmenden sozialen und medialen Drucks in Krisenzeiten suchen Betroffene gezielt nach Ausgleichsmöglichkeiten. Der Bedarf an Resilienzstrategien im Digitalen hat deshalb stark zugenommen.
Jeder von uns kennt das aus eigener Erfahrung: Corona-Pandemie, Klimawandel, Energiekrise und Krieg in der Ukraine – Nachrichten sind für uns in Krisenzeiten wichtiger denn je. Das Dilemma besteht meines Erachtens darin, dass das Publikum einerseits digitale Auszeiten dringend benötigt, aber gleichzeitig informiert bleiben will. Unkontrollierter Medienkonsum kann hingegen zum Panik-Booster werden.
Sollen Medien den Menschen beistehen?
Wie die Medien selbst damit umgehen, ist für uns mindestens ebenso wichtig: Aus dem Krisendenken herauszuführen und mögliche Perspektiven in der Berichterstattung aufzuzeigen – damit befassen wir uns schon seit vielen Jahren nicht nur in unserer Forschung, sondern auch in den Bildungsprogrammen am VOCER Institut für Digitale Resilienz:
- Wie können Medien der Bevölkerung in der bedrohlichen Krisensituation Orientierung geben und erklären, wie wir als Gesellschaft besser zurechtkommen?
- Sollen sie den Menschen beistehen, ihnen womöglich ihre Ängste nehmen und aktiv nach Chancen suchen?
- Und wie kommen die Medien-Profis selbst robust durch die Krise?
Wir halten solche Fragen für demokratierelevant, weil unserer Gesellschaft zunehmend auf die Integrationsleistung der Medien angewiesen ist – diese uns aber immer mehr abhandenkommt: Wenn professionelle Medien den Anschluss an die Bevölkerung verlieren, weil es in den News nur noch um Drama und diffuse Panikmache geht, aber zu wenig Dialogräume geöffnet werden, wird sich die soziale Polarisierung wohl weiter verschärfen.
Um dieses Demokratieversagen aufzuhalten ist es wichtig, dass der Journalismus und seine Protagonist:innen selbst resilient bleiben. Berichterstattung, die vor allem Verzweiflung säht, die keinerlei Perspektiven vermittelt, ist ein leichtfertiges Spiel mit dem Feuer. Denn mit Mutlosigkeit wird zuweilen Politik gemacht – nicht nur in autoritären Regimen, sondern auch in Demokratien wie in Italien oder in den USA.
„Zeitalter der Resilienz“
Jeremy Rifkin, einer der wichtigen amerikanischen Vordenker der Ökologie-Bewegung, hat zur Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaft gerade das passende Buch vorgelegt: In „Das Zeitalter der Resilienz“ ruft er zum radikalen Wandel unseres Selbstbilds auf, um den ökologischen Weltuntergang zu verhindern: Nicht mehr (technologischer) Fortschritt darf laut Rifkin der Taktgeber unserer Zivilisation sein, wenn wir überleben wollen.
Vielmehr plädiert er in seiner Kapitalismuskritik für „Resilienzrevolution“: Nicht (mehr) die Natur habe sich den menschlichen Bedürfnissen anzupassen, um diese auszubeuten. Stattdessen müssten wir akzeptieren, unsere Bedürfnisse der Umwelt unterzuordnen. In dieser Anpassungsleistung sieht Rifkin eine – die einzige – Lösung für den Fortbestand unserer Existenz.
Rifkins klugen Gedankengang können wir für die Idee einer „resilienten Gesellschaft“ auch in Bezug auf die digitalen Medien nutzbar machen: Das Beziehungsgeflecht von Machenden und Nutzenden muss sich ebenso radikal wandeln, damit der öffentliche Diskurs wieder fairer und ausbalancierter wird und wir uns dem Sog der Katastrophen entziehen können.
Für das Publikum bedeutet das, die psychische Gesundheit, kognitive Aufnahmefähigkeit und die Möglichkeiten zur Verarbeitung und Bewältigung von Nachrichten über Krisen kontinuierlich zu reflektieren und im beidseitigen Austausch neue Methoden zu entwickeln, mit diesen Ambivalenzen umzugehen. Um eine solche Resilienz im Digitalen zu trainieren, appellieren wir an die Nutzenden, sich von digitalem Ballast zu befreien – also zu entrümpeln, aufzuräumen, sich im Klaren darüber zu werden: Was bringt mir ein bestimmter Konsum von digitalen Anwendungen, was ist verzichtbar?
Wir gehen davon aus, dass die größte Innovation in den kommenden Jahren diejenige sein wird, die das psychische Wohlbefinden des Menschen ins Zentrum des technologischen Fortschritts stellt – und Technologie nicht als Selbstzweck oder Standortförderung betreibt. Genau das ist für uns eben ein wichtiger Teil von „Demokratie-Resilienz“ in der digitalen Welt. Und je mehr Menschen wir mit dem Thema Digitale Resilienz erreichen können, desto besser.
Drei Tipps zur Stärkung der Resilienz im Digitalen:
Bildschirm-Kontrolle
Überdenken Sie regelmäßig Ihre digitale Bildschirmzeit: In den Einstellungen vieler Smartphones können Sie leicht nachsehen, wie viel Zeit Sie mit welchen Anwendungen in Anspruch nehmen und wie sich Ihre Nutzungszeiten über längere Zeiträume entwickelt haben. Überlegen Sie einmal, ob Sie beim Klicken und Scrollen durch Videofeeds und Chats vielleicht die Zeit aus den Augen verloren haben und stellen Sie dies den Tätigkeiten gegenüber, für die Sie beruflich oder privat gerne mehr ihrer wertvollen Zeit aufbringen würden.
Benachrichtigungs-Optimierung
Stellen Sie Ihr Smartphone konsequent auf lautlos und unterbinden Sie sämtliche Geräusche ihrer digitalen Wegbegleiter, zum Beispiel Ping-Töne nach dem Erhalt von Nachrichten via E-Mail, Messenger oder Social Media. Verbieten Sie Ihrem Smartphone zusätzlich die Möglichkeit von Push-Benachrichtigungen und antworten Sie nicht immer sofort, wenn Sie eine Kurznachricht oder E-Mail erhalten.
News-Diät
Befreien Sie sich vom suchtartigen Checken, Scrollen und Aktualisieren von Neuigkeiten in Nachrichten- und Social-Media-Apps. Seien Sie mutig und machen Sie eine mehrwöchige Nachrichten-Kur, bei der Sie sich darauf konzentrieren, nur ein bis wenige Male am Tag (digitale) Medien zu nutzen, um auf den neuesten Stand zu kommen. Überlegen Sie im Anschluss, was Ihnen in dieser Zeit gefehlt hat oder was Ihnen entgangen ist – und wie viel Fast News Ihnen wirklich wichtig ist und gut tut.
Stephan Weichert ist Medienwissenschaftler und Innovationsberater. Gemeinsam mit Alexander von Streit leitet er das VOCER Institut für Digitale Resilienz, das Bildungsprogramme und systemische Beratung anbietet. (mehr zu Stephan Weichert)