Reflexhafte Gehässigkeiten
Wann Medienschaffende einfach mal schweigen sollten
Was nicht nur Medienleute aus der Causa Alexandra Föderl-Schmid lernen können – oder besser: müssen.
Von Dr. Stephan Weichert
Wie man es auch dreht und wendet, der Medienbranche geht es zusehends schlechter. Wirtschaftlich, aber auch mental gesehen. Eigentlich unverständlich, war guter Journalismus doch noch nie so wertvoll wie heute. Trotzdem wirkt seine Seele beschädigt, um die Resilienz der Medienbranche scheint es derzeit nicht gut bestellt.
Auch deshalb trifft eine Schocknachricht wie die des mutmaßlichen Suizids von Alexandra Föderl-Schmid einen blank liegenden Nerv vieler Kolleg:innen: „Über wenige Vorgänge ist in den Teeküchen der Newsrooms der Republik in dieser Woche so viel gesprochen worden wie über den ‚Fall‘ Alexandra Föderl-Schmid“, schrieb HAZ-Chefredakteur Hendrik Brandt vorletzte Woche in einem luziden Kommentar bei Linkedin.
Der „Fall“ Föderl-Schmid regte und regt offenbar noch immer zu Reaktionen an, gibt uns zu denken, wie sich vor zweieinhalb Wochen in den sozialen Netzwerken, aber auch bei vielen Medien ablesen ließ. „Viele vorlaute Social-Media-Kommentatoren“, so Brandt, hätten schon Nachrufe auf Föderl-Schmid gepostet, als die polizeilichen Ermittlungen noch gar nicht ganz abgeschlossen gewesen seien.
Es gab auch schon zuvor ungekannte und unschöne Dynamiken im Netz, wie es der Standard in seiner „Chronologie einer Hetzjagd“ zusammenfasst: „Föderl-Schmid sei eine „linke Sudeljournalistin“, war zu lesen, eine „schäbige Betrüger:IN“, „fanatische Tastaturaktivistin“. Die „professionelle linke Hetzerin und Rufmörderin“ sei endlich von ihrem „hohen moralischen Ross geholt“ worden und müsse jetzt die Konsequenzen tragen.“
Reflexhafte Gehässigkeit im Digitalen
Man muss kein Psychologe oder Therapeut sein, um in diese grimmige Echowelle etwas hineinzudeuten: Die reflexhafte Gehässigkeit im Digitalen, die vielerorts schnell in Hass umschlägt, aber auch die strammen Solidaritäts- und die Beileidsbekundungen oder die virtuellen Umarmungen eingedenk der sich rasant verbreitenden Selbstmordtheorie markieren den allgemeinen Polarisierungstrend, der seit Jahren die Gesellschaft spaltet – und den viele Medienleute selbst mit befeuern. Jeder und jede hat eine Meinung – und meint, diese sofort kundtun zu müssen.
Dieser allgegenwärtige mediale Sofortismus in den sozialen Netzwerken, den etliche Journalist:innen voller Inbrunst bedienen, endet regelmäßig in einem berufsethischen Fiasko. Er steht symptomatisch dafür, wie dünnhäutig, auch wie moralisierend und rechthaberisch der Medienbetrieb als Ganzes inzwischen tickt.
Auch deshalb offenbaren solche Skandalreflexe die endgültige Kapitulation des Journalismus vor den Social-Media-Plattformen: Im Gefecht der Gefühle auf X und LinkedIn, Insta und TikTok war schlicht kein konstruktiver Dialog möglich. Vielmehr zeigte sich, dass die Motivation, anderen „eins mitzugeben“, sich gegenseitig persönlich anzugreifen oder unbedingt die Deutungshoheit behalten zu wollen, auch unter Journalist:innen eine weitaus größere Rolle zu spielen scheint, als man bisher annehmen durfte.
Warum Resilienz an Bedeutung gewinnen muss
Dieser Denkzettel-Journalismus ist, angefeuert durch das eigene Social-Media-Gefolge, nicht nur hochgradig unprofessionell. Er ist genauso unerträglich wie sein Gegenstück: Das volatile Mitläufertum vor allem in Gestalt des digitalen Geposes und Geraunes, das vor allem bei X nicht mehr auszuhalten ist (in einem Beitrag von 2022 plädierte ich dafür, dass wir spätestens nach der Übernahme von Twitter durch Musk eine „Bullshit-Resilienz“ benötigen).
Vor allem eine Frage hat mich seitdem immer wieder beschäftigt: Inwiefern ist die Causa Föderl-Schmid ein Indikator dafür, dass Resilienz im Journalismus an Bedeutung gewinnen muss, und was können wir daraus lernen?
Eine Antwort darauf zu finden ist nicht ganz leicht. Eine Erklärung für das Vorgefallene allerdings schon: Vor der Vermisstenmeldung hatte ich mir das Videointerview des österreichischen „Plagiatsjägers“ Stefan Weber auf dem Portal „Nius“ in voller Länge reingetan: ein Verriss, der sich gewaschen hat – und die Tendenz hat, gleichermaßen die journalistische Arbeit, aber auch die Person Föderl-Schmids zu verunglimpfen (das Video ist auf der „Nius“-Seite nicht mehr verfügbar, bei YouTube findet sich jedoch ein ähnliches Interview der Online-Plattform OE24). Ein Interview, das Zündstoff liefern sollte (und es teilweise tat), um nicht nur die „Süddeutsche“, sondern die gesamte Branche in Verruf zu bringen.
Als mich tags darauf die Nachricht über einen gut informierten Kollegen ereilte, dass Frau Föderl-Schmid vermisst wird, noch einige Zeit bevor die „Passauer Neue Presse“ es vermeldete, war mir mulmig zumute. Bis dato hatte ich eher am Rande verfolgt, dass die Chefredaktion der „Süddeutschen“ die elektronische Kommunikation ihrer Redaktion durchforsten ließ, um einen mutmaßlichen Informanten zu finden. Und dass der Hintergrund für die „Maulwurfsuche“ („Medieninsider“) die vermeintlichen Plagiatsvorwürfe gegen die stellvertretende Chefredakteurin gewesen sein sollen, die sich bis zum Abschluss der Prüfung von ihren Aufgaben zurückgezogen hatte. Das deutsche Branchenmagazin „Medieninsider“ hatte im Dezember 2023 ausgeplaudert, dass Frau Föderl-Schmid in ihren Artikeln Bausteine aus Fremdpublikationen verwendet haben soll. Die Motive für den Ursprungsverdacht sind bis heute nebulös, Unstimmigkeiten über den Hergang ungeklärt.
Nicht in Reichelts Haut stecken
Mein erster Gedanke nach der Vermisstenmeldung der Journalistin war, dass ich weder in der Haut der SZ-Chefredakteure Wolfgang Krach und Judith Wittmer noch in der von „Nius“-Gründer Julian Reichelt noch in der von „Medieninsider“-Chef Marvin Schade stecken wollte, die jeweils auf ihre Weise zur Veröffentlichung des Plagiatsverdachts und damit ihrer unseligen Folgen beitrugen. Verantwortlich gemacht werden dafür dürfen sie aber nicht. Trotzdem begegneten mir in jenen Tagen etliche zynische Kurznachrichten vor allem bei X, die ich hier im Einzelnen nicht wiedergeben möchte: Sie trieben die Respektlosigkeit gegenüber dem Geschehenen auf die Spitze, denn unter anderem wurden wahlweise Reichelt oder Weber für den mutmaßlichen Suizid Föderl-Schmids mitverantwortlich gemacht.
Solche Provokationen sind menschenverachtend, in ihnen drückt sich für mich die Ablehnung jeglicher Werte, Moralvorstellungen und Normen aus. Der Suizid, auch wenn es in diesem Fall glücklicherweise nur ein mutmaßlicher war, wird damit ins Lächerliche gezogen, ebenso wie seine vermeintlichen Verursacher wiederum an den Pranger gestellt werden. Denn inzwischen wurde der „Plagiatsjäger“ Weber selbst zum Gejagten, nicht nur bei Social Media: Der „Spiegel“ hat sich den Wissenschaftler und seine Motive unlängst vorgeknöpft. Wie es ihm mit der ganzen Sache geht, erfährt die Leserin nicht.
Meine Haupterkenntnis ist diese: Das alles ist wahrlich keine Sternstunde des Qualitäts- und auch nicht des deutschen Medienjournalismus. Es wird überdeutlich, warum sich Medienhäuser künftig noch mehr in Zurückhaltung üben sollten. Dies gilt für Maßnahmen öffentlicher Kommunikation im Allgemeinen, aber vor allem in Krisensituationen.
Im Falle der öffentlichen „Treibjagd“ auf Alexandra Föderl-Schmid sollte etwa aus der Binse „Don’t kill the messenger“ ein neuer kategorischer Imperativ formuliert werden: „The messenger can kill“, der Überbringer von Nachrichten (das gilt umso mehr für die Verbreitung von Fake News) sollte sich der möglichen Verantwortung seiner Botschaft stets bewusst sein, da sie Menschen schlimmstenfalls in den Tod treiben könnte (was hier Gottlob nicht der Fall war). Politiker und Promis können davon ein Lied singen, aber auch Journalisten, die selbst regelmäßig einen Shitstorm erleiden müssen, wissen sicher, wie traumatisierend der Social-Media-öffentliche Pranger sein kann.
Tiefsitzende Angst vor der eigenen Bedeutungslosigkeit
Das Problem: Nicht jedem Journalisten scheint diese Maxime klar zu sein. Auch die Frage, warum Journalisten gerade in solchen Extremsituationen große Lust verspüren, aufeinander einzuprügeln, wird meist gar nicht reflektiert: Meist hat sich Ärger angestaut, es ergibt sich eine lange erwartete Möglichkeit, dem Konkurrenzmedium eins reinzuwürgen. Die Hypertrophie des Selbstbewusstseins vieler Journalist:innen mag man zudem als Berufskrankheit bezeichnen: recht haben zu wollen, Partei zu beziehen oder Diskurse zu vereinnahmen.
Allerdings zeugt die Häme, die sich in solchen Momenten Bahn bricht, nach meiner Erfahrung auch fast immer von der tiefsitzenden Angst vieler Journalist:innen vor der eigenen Bedeutungslosigkeit. Offenkundig wird, dass im Digitalen der Kampf um den journalistischen Identitätsverlust weiter Platz greift – und damit der Wunsch, publizistisch relevant zu bleiben.
Eine Resilienz im Digitalen funktioniert genau andersherum: Sie funktioniert, wie es die Publizistin Carolin Emcke und daran anknüpfend der Medienjournalist Stefan Niggemeier vorgeschlagen haben, dass wir in solchen Momenten gut daran täten, innezuhalten. Auf gut Deutsch: Ruhig Blut! – auch wenn alle Welt eine Meinung zu haben scheint.
Und so sehr das vielleicht nach Wunschdenken klingt: Es ist Gelassenheit, Empathie und Souveränität, die qualitätsvolle Berichterstattung auch in Krisen ausmachen sollte – und muss. Wir haben es im Digitalen mit unkontrollierbaren Pranger-Mechanismen zu tun, die an öffentliche Verleumdungskampagnen erinnern. Journalist:innen sollten schon aus diesem Grund stets eine professionelle Verantwortungsethik beherzigen.
Dass die Resilienz von Organisationen und ihren Mitarbeitern in dieser Hinsicht gesteigert werden kann, setzt voraus, dass Journalist:innen zusammenhalten: Wir müssen lernen, konstruktiver miteinander zu streiten, den anderen ausreden zu lassen, das Verbindende zu suchen, nicht das Trennende.
Etwas mehr Optimismus kann dabei nicht schaden. Denn wir Medienleute werden es in den nächsten Monaten noch mit ganz anderen Herausforderungen zu tun bekommen, in denen wir Akkuratesse anmahnen, soziale Benachteiligung anprangern und „wider den Stachel löcken“ müssen. Mediale Kleinkriege helfen uns da weiß Gott nicht weiter.
Hinterher weiß man immer mehr – entscheidend ist, was wir daraus lernen.
Dr. Stephan Weichert ist Medienwissenschaftler und Innovationsberater. Gemeinsam mit Alexander von Streit leitet er das VOCER Institut für Digitale Resilienz, das Bildungsprogramme und systemische Beratung anbietet. (mehr zu Stephan Weichert)