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3 Dinge, die sich für dich durch KI für immer verändern
Zurück in die Tube gedrückt bekommen wir das Thema künstliche Intelligenz nie wieder. Ob sie Hoffnung bringt oder den Weltuntergang, ist ungewiss. Drei Aspekte sind aber gewiss.
Von Dr. Stephan Weichert
Noch streiken sie nicht wie die US-Schauspieler:innen in Hollywood. Aber Fragen stellen sich viele Beschäftigte auch hierzulande, vor allem in der Medienbranche:
Mensch oder Maschine?
Risiko oder Chance?
Hoffnung oder Weltuntergang?
Die Debatte über das Wohl und Wehe Künstlicher Intelligenz (KI) ist seit einem Jahr so richtig in Gang gekommen – meinungsgeladen ist sie, kontrovers und mit programmatischem Unterton. Die Menschen sind nervös, verunsichert, teils ängstlich.
Und wenn in den Medien über diese inzwischen in den Aufmerksamkeitsfokus geratene Technologie berichtet wird, spürt man stets eine ambivalente Mischung aus Faszination und Alarmismus: „Das Ende der Wahrheit“ verkündete zum Beispiel der „Spiegel“ kürzlich auf seiner Titelseite: KI sei eine „große Fake-Maschine“, mit der sich die Realität in Text und Bild schneller und vor allem, da für jeden „Durchschnittsbürger“ zugänglich, leichter verformen ließe.
Von einem „Wendepunkt in der Geschichte“ spricht gar dieim Artikel zitierte KI-Forscherin Kate Crawford von der USC Annenberg School for Communication and Journalism, vom Beginn eines „generativen Zeitalters“, als der „Spiegel“ sie nach den gesellschaftlichen Auswirkungen des KI-Hypes befragt.
Aber es geht noch dramatischer: „Die enorme Macht der ‚Superintelligenz‘ könnte zu einer Entmachtung oder sogar zum Aussterben der Menschheit führen“, behauptet Ilya Sutskever, Chefwissenschaftler und Mitgründer von OpenAI, der mit einer solchen Aussage auch eine Werbebotschaft für das technologische Potenzial seines hauseigenen Produktes ChatGPT senden will.
KI wird zum Game Changer
Aber auch abseits von Science-Fiction-Dystopien zeichnet sich schon heute ab, dass mit Künstlicher Intelligenz eine digitale Transformation der Gesellschaft verbunden ist – mit direkten und indirekten Einflüssen auf Politik, Wirtschaft, Kultur und damit auf unsere Demokratie. Klar ist auch schon, dass die „KI-Revolution“ (Der Spiegel 2023) dabei als erstes den Medien- und Kreativbereich treffen wird.
Kevon Roose von der „New York Times“ bezeichnete ChatGPT kürzlich als den besten Chatbot, der jemals entwickelt wurde („“ChatGPT is, quite simply, the best artificial intelligence chatbot ever released to the general public“). Bis heute haben über 100 Millionen Nutzer das KI-Tool genutzt. Midjourney wird inzwischen massenhaft für Grafik- und Fotoerstellungen genutzt, selbst die Ergebnisse von Laien sind von erstaunlicher Qualität und Güte (wie unser Einhorn-Titelfoto). Auch die Übersetzungs-KI DeepL wird schon viele Jahre exzessiv genutzt, und selbtsredend steckt hinter jeder Suchmaschinen eine KI.
KI wird zum „Game Changer“ in vielen, wenn nicht in fast allen Bereichen der Kreativbranche. Vorreiter ist – wie fast immer – der Journalismus: „Wie wir gesehen haben, müssen Journalisten bei der Nutzung von KI vorsichtig sein, zugleich besteht die Gefahr, die Technologie zu verteufeln“, schreibt der US-Medienexperte und Publizist Jeff Jarvis in der Zeitschrift „Stern“. Im besten Fall, glaubt der Internet-Guru, könnte „in der weiteren Entwicklung der KI eine Chance für den Journalismus liegen: wenn sie Journalisten dazu bringt, über ihre Rolle in der Gesellschaft neu nachzudenken und sich zu fragen, wie sie den öffentlichen Diskurs verbessern können.“
„Es geht um alles oder nichts.“
Ob zur Recherche, bei der Text-, Daten-, Bild- oder Audioverarbeitung oder in angrenzenden Bereichen wie Layout, Marketing, Kommunikation, Organisation oder HR – KI-Anwendungen werden in den kommenden Jahren immer mehr Einzug in die Medienpraxis halten. Schon jetzt kommt „Hidden AI“ tagtäglich zum Einsatz, oft ohne den Anwender:innen bewusst zu sein – etwa bei Google-Suchanfragen, der Autokorrektur von Texten, dynamischen Empfehlungs-Links in sozialen Netzwerken oder bei Transkriptionen und Übersetzungen.
Für Axel-Springer-Boss Mathias Döpfner bedeutet etwa der KI-Einsatz im Journalismus hingegen ein „neues Niveau der Qualität, der Relevanz und der wirtschaftlichen Attraktivität. Oder der Untergang. Es geht um alles oder nichts.“ Künstliche Intelligenz befördere so etwas wie die Renaissance der ursprünglichen Idee von Journalismus oder die „Wiedergeburt der Zeitung“. Döpfner vergleicht Entwicklungen wie Bard (Google) oder ChatGPT (OpenAI/ Microsoft) mit einer „technologischen Monsterwelle“, die „entweder über Verlagen breche und sie zerstöre, oder den Journalismus stärkt und auf ein völlig neues Level hebt“.
Die Chancen und Risiken, die Döpfner für den Journalismus sieht, gelten auch für andere Branchen. Es geht um professionelle Abgrenzung bei gleichzeitiger Technologieoffenheit. Denn KI-Anwendungen führen auch sonst allerorten zu Arbeitsverdichtung und – über kurz oder lang – nicht nur in den Medien zu Stellenabbau auf breiter Basis, wahrscheinlich sogar zu Massenentlassungen – Experten schätzen, dass durch KI 300 Millionen Jobs ersetzt werden.
Nicht von ungefähr führen sie schon jetzt zu großer Verunsicherung, aber auch Skepsis und Orientierungslosigkeit im Arbeitsmarkt. Manche predigen daher, dass Arbeitnehmer:innen sich ständig weiterbilden müssen, um nicht abgehängt zu werden – ich gehöre auch zu denjenigen, die seit über 20 Jahren in der Weiterbildung tätig sind. Das Skurrile ist jedoch: Was heute Hype ist, kann schon morgen Geschichte sein. Was es umso schwieriger macht, qualifizierte und kompetente Trainer:innen zu finden, die eine marktadäquate Weiterbildung überhaupt anbieten können.
Was also tun – und wenn ja, wie?
Was auch gut und sinnvoll ist: Inzwischen werden verstärkt KI-basierte Systeme in deutschen Unternehmen zu experimentellen Zwecken eingesetzt, vor allem mit populären Anwendungen wie den Programmen Chat-GPT und Google Bard sowie der Bild- und Grafik-KI Midjourney werden zum Beispiel über „Prompts“ – eine Art geschriebener Arbeitsauftrag – alle möglichen journalistischen Ergebnisse produziert, etwa Texte, Bilder, Video, Moderationen, Musik, Code und Simulationen. Immer öfter ist zu beobachten, dass KI nicht nur für die Inhalte- und Bild-Erstellung, sondern zunehmend auch für strategische, organistaorische und konzeptionierende Tätigkeiten eingesetzt wird. Auch Personal- und Marketingabteilungen versuchen, KI für ihre Untehmensziele in Anspruch zu nehmen.
Zugleich sind die Gefahren durch KI unverkennbar geworden: Bereits im April 2021 hat die Europäische Kommission einen Verordnungsentwurf zu Künstlicher Intelligenz (Artificial Intelligence Act) vorgelegt, der den Schutz von Grundrechten und Sicherheitsanforderungen in Bezug auf KI regulieren soll. Das Gesetz soll sicherstellen, dass KI-Systeme ethisch verantwortungsvoll sind und keine Diskriminierung von Minderheiten oder anderen Gruppen begünstigen.
Der Neuentwurf des US-amerikanischen Algorithmic Accountability Act von 2022 hebt noch stärker auf die Verantwortlichkeit von Unternehmen für diskriminierende Auswirkungen von KI-Systemen auf Verbraucher ab: Das Gesetz soll Entwickler:innen, Hersteller:innen und KI-Unternehmen zu mehr Transparenz verpflichten. Hierin wird unter anderem die Haftung von Anbietern von KI-Systemen geregelt, die bei einer Verletzung der Verordnung haftbar gemacht werden können.
Arbeitnehmer:innen stehen nun mindestens vor einer doppelten Herausforderung: Zum einen müssen sie sich über die Chancen von KI informieren, aber auch versuchen, ihre Risiken für die Gesellschaft und ihre Unternehmen zu erkennen. Es geht dabei um nichts weniger als die Ausbildung einer „KI-Resilienz“, den souveränen Umgang mit KI. Es geht darum, die Mechanismen und Kontexte von KI sowie deren praktische Anwendungsgebiete zu durchdringen, zu erlernen, sich abzugrenzen – um letztlich vom Einsatz von KI zu profitieren.
Für und Wider von KI für die Gesellschaft
Es ist unerlässlich, dass Arbeitnehmer:innen, die diese Technologie nutzen, sie nicht nur anwenden, sondern auch beurteilen können. Nur so können sie in der Digitalisierung konkurrenzfähig sein und ethisch verantwortungsbewusst handeln. Denn der Einsatz von KI bringt eine Reihe von gravierenden Herausforderungen mit sich, die sorgfältig reflektiert werden müssen.
- Welche ethische Verantwortung entsteht durch den Einsatz von KI-Technologien?
- Wie muss eine wehrhafte Demokratie vor dem Hintergrund der Entwicklung von KI gesichert werden?
- Welche Qualitätsstandards und Ehtik-Richtlinien sind nötig?
- Wie verändert KI unsere praktische Arbeitsweise und unser Rollenselbstbild?
- Und: Wie können wird resilient mit diesen Veränderungen umgehen?
Zwar gibt es in vielen (großen) Unternehmen inzwischen so genannte interne „KI-Richtlinien“. Auch wird der Bedarf in der Geschäftswelt , klare Vorgaben für den Umgang mit KI zu finden, immer größer. Aber erst wenige Leitlinien behandeln die genaue Funktionsweise von generativen Sprachmodellen (Large Language Models, LLMs) oder wissen, von welchen Befehlen und Parametern die Qualität ihrer Arbeitsergebnisse abhängt oder welche Biase (u.a. Gender-Bias) die Trainingsdaten Künstlicher Intelligenz erzeugen können.
Vielen ist nicht klar, dass generative KI teuer ist und „für Rechenpower, Datenübertragung und Strom viele Milliarden Dollar ausgegeben werden“. Auch über die daraus resultierenden Schäden für die Umwelt und Klima durch KI wird wenig gesprochen. Es fehlt bisweilen also wichtiges Kontextwissen, Erfahrungsaustausch und somit eine ganzheitliche Betrachtungsweise des Umgangs mit KI. Seit einiger Zeit werden zwar Debatten geführt, die bleiben allerdings häufig bei der reinen Anwendung der Technologie stehen.
Oftmals handelt es sich um praktische Facheinweisungen von KI-Anwendungen, die weder in die gesellschaftliche Aushandlung um KI eintauchen noch in ökonomische, ökologische und rechtliche Zusammenhänge, geschweige denn in berufsethische Abwägungen eingebettet sind. Das wollen wir mit unserem VOCER Institut für Digitale Resilienz ändern und bieten seit vielen Jahren verschiedene Weiterbildungen an, die sich speziell an Medienschaffende richten und Lösungen für die Herausforderungen der digitalen Transformation fokussieren – nun auch gezielt für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz.
Im Ganzen gesehen, geht es um die immer offensichtlicher werdenden Auswirkungen dieser Technologie auf die praktische Arbeitswelt, wenn KI-generierte Inhalte und Abläufe eingesetzt und künftig immer mehr Prozesse automatisiert werden können bis hin zum Einfluss von KI auf bestehende Geschäftsmodelle. Es geht aber auch um das Für und Wider der Folgen von KI für die Gesellschaft.
Nach meinen Erfahrungen und Erwartungen in diesem Feld werden sich drei Dinge grundlegend – und vermutlich für immer – durch KI verändern:
1) Wahrheit und Lüge werden schwerer auseinanderzuhalten sein
Der Papst in Daunenjacke, Trump im Gefängnis, Stimmen aus dem Jenseits, vermeintliche Katastrophen: Der Spiegel hat KI als „die große Fake Maschine“ bezeichnet – mit schwerwiegenden Folgen für Gesellschaft und Demokratie. Denn was passiert, wenn wir die gefälschte Welt nicht mehr von der echten unterscheiden können? Schon jetzt werden Bilder, Stimmen und Videos künstlich hergestellt, um Stimmung zu machen. Desinformationen werden verbreitet, Realitäten zurechtgebogen und Maschinen zum Lügen gebracht – manchmal aus Profitgier, manchmal zur politschen Vorteilnahme. Wir müssen uns darauf einstellen, dass sich unser Verhältnis zu der Frage verändert, was authentisch und was digitale Scharade ist. Echtheit wird immer mehr zur Glaubensfrage. Ergo: Auch wenn es schwieriger wird, müssen wir uns auf eine Realität „einigen“, damit politische Entscheidungen zum Wohle der Demokratie gefällt werden können.
2) Die Welt wird (noch) ungerechter, nicht nur im Digitalen
Das soziale Gefälle wird durch den Einsatz von KI größer. Die Gesellschaft wird zerfallen in diejenigen, die KI-Tools souverän nutzen können und entsprechende Bildungszugänge erhalten. Und in diejenigen, die nicht Schritt halten können, weil es ihnen an Wissen, Geld oder Zeit fehlt. Schon die Digitalisierung impliziert soziale Ungleicheit in Bezug auf Geschlecht, Hautfarbe und Herkunft, KI verstärkt diese in vielfacher Hinsicht noch. Niemand ist derzeit ausreichend darauf vorbereitet, was uns im „generativen Zeitalter“ (Kate Crawford) erwartet, aber es wird zwingend sein, die möglichen Folgen gemeinsam auszuhandeln und dafür zu sorgen, dass niemand abgehängt wird. Die Ethikrichtlinien der Politik sind wegweisend, sie müssen auf Ebene von einzelnen Unternehmen und Organisationen jedoch noch in geeignete Leitlinien überführt werden. Es muss darum gehen, dass wir als Zivilgesellschaft mitgestalten können und uns entsprechende Regeln geben.
3) Die Macht der Tech-Giganten wird schier grenzenlos
Microsoft/OpenAI, Alphabet/Google, Anthropic, Meta , Inflection, Amazon, Bytedance: Schon jetzt dominiert der chinesische und amerikanische Tech-Komplex die Entwicklungen von KI im globalen Markt. Der damit verbundene Einfluss auf die Herstellung von Öffentlichkeit ist beinahe grenzenlos. Zugleich wird das Risiko, dass die Allmacht von Big Tech für Wirtschaft und Demokratie hat, regelmäßig unterschätzt. Die KI-Monopole werden seit Jahren zwar aufmerksam beobachtet und mit Strafen belegt, die Justiz schaut diesem Treiben jedoch oft tatenlos zu – auch in Deutschland und auf EU-Ebene. Auch wenn einige wie der Medienwissenschaftler Martin Andree vor dieser Gefahr warnen, findet de facto kein gesellschaftlicher Diskurs statt. Es fehlt an Aufklärung und öffentlichen Maßnahmen, die Entwicklung von KI und möglicherweise ihre Entzauberung massentauglich zu begleiten. Schon heute wissen wir: Voice Cloning und Text-zu-Bild-Generatoren sind nicht ungefährlich für Personen des öffentlichen Lebens, allen voran Politiker:innen. Damit sind der Manipulation Tür und Tor geöffnet. Sie (und wir alle) sollten ein lebhaftes Interesse daran haben, digitale Monople zu unterbinden und den wachsenden Einfluss der Tech-Moster einzuschränken.
Dr. Stephan Weichert ist Medienwissenschaftler und Innovationsberater. Gemeinsam mit Alexander von Streit leitet er das VOCER Institut für Digitale Resilienz, das Bildungsprogramme und systemische Beratung anbietet. (mehr zu Stephan Weichert)