Selbstverständlich konstruktiv
Von Leif Kramp
Wie gut geht es uns eigentlich bei allem Gram dieser Zeit? Kein Klischee hält sich im Journalismus so hartnäckig wie „Only Bad News is Good News“. Soghafte Berichterstattung über Krisen, Konflikte und Katastrophen gilt nicht etwa als guilty pleasure, sondern als good practice. Dass die problemfixierte Repräsentation der Wirklichkeit tiefgreifende Folgen für die (verzerrte) Weltwahrnehmung hat, zeigte niemand überzeugender als der 2017 verstorbene Gesundheitsaufklärer Hans Rosling: Sein Gapminder-Test über globale Entwicklungsfragen rückt auch heute noch reihenweise Köpfe zurecht, weil er mit statistischer Klarheit zeigt, dass sehr vieles früher eben nicht besser war.
Aber Klimawandel, Corona, Vertreibung: Krisen auf so vielen Ebenen! Die Welt im nicht enden wollenden Kampf, große Teile der Bevölkerung sind zutiefst verunsichert, gestresst und unzufrieden. Auch Journalist*innen fragen sich: Wie lässt sich das alles bewältigen – privat und beruflich? Der Journalismus hatte bereits vor Corona schon mächtig mit dem digitalen Medienwandel und seinen Begleiterscheinungen zu ringen. Problemfixierte Berichterstattung über Krisenkaskaden überfordern aber nicht nur das Publikum, sondern auch das journalistische Personal. Nachrichtenfürsorge ist gefragt: nach außen und nach innen.
Perspektiven über die akuten Missstände hinaus
So sehr die Bedrohungen wachsen und beängstigend real in den Alltag vordringen, drängt sich der Impuls auf zu fragen: Was nun? Sich aufzumachen und Auswege zu recherchieren, Szenarien der Bewältigung, Beispiele zu finden für Lösungen im Kleinen, vielleicht auch inspirierende, und sie mit kritischer Distanz zu betrachten, einzuordnen. Nicht mieszumachen, aber auch nicht schönzufärben. Sondern den Blick zu weiten über die akuten Missstände hinaus und Perspektiven zu diskutieren.
Der Vorteil: So lässt sich ein anschlussfähigeres, weil vollständigeres Weltbild konstruieren. Das ist aufwendig, passt aber verblüffend gut ins Standardrepertoire journalistischer Regelstrukturen. Konstruktiv zu berichten erscheint als ideale Ergänzung zu investigativen Ansätzen: Probleme ermitteln, Missstände enthüllen und außerdem berichten, was Menschen tun, damit es (vielleicht) besser wird, wie sich Unheil und Untaten verhindern oder abschwächen ließen. Das zahlt ein auf die Reputation, die Orientierungsleistung, Unabhängigkeit, Überparteilichkeit und Zufriedenheit im Job.
Gesteigerter Zuspruch aus dem Publikum
Konstruktiv zu berichten hat weder etwas mit Heldenverehrung noch mit einem Helfersyndrom zu tun. Betont wird vielmehr die zentrale Vermittlungs- und Orientierungsfunktion des Journalismus. Wie wir in unserer im Herbst erschienenen Studie „Konstruktiv durch die Krise“ zeigen können, haben viele Medien in der Corona-Pandemie den Blick nach vorn gerichtet, um zu fragen, wie politische, gesundheitliche, kulturelle und wirtschaftliche Risiken abgewogen werden können, damit es mit dem gesellschaftlichen (Zusammen-)Leben weitergehen kann. Der Lohn ist ein gesteigerter Zuspruch aus dem Publikum und eine gestärkte Selbstwirksamkeit.
Beides kann Journalist*innen dabei helfen, Krisen robuster entgegentreten zu können – als Vermittler*in, nicht als Aktivist*in. Denn Partei zu ergreifen und das eigene Sendungsbewusstsein zu überdrehen, droht mit der gebotenen Unabhängigkeit und Überparteilichkeit zu brechen. Daran ändert sich nichts: Der Journalismus übernimmt eine systemisch wichtige Schnittstellenfunktion, indem er gerade auch in Zeiten der Not über globale Bestrebungen, Engagements und Innovationen berichtet – sicher mit kritischer Distanz, aber vorbildlich, voraussetzungsvoll und respektvoll.
Leif Kramp forscht und lehrt am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung (ZeMKI) der Universität Bremen. Gemeinsam mit Alexander von Streit und Stephan Weichert setzt er sich bei Vocer für eine Förderung der Widerstandsfähigkeit von Journalist*innen und Medienorganisationen in Zeiten des tiefgreifenden Medienwandels ein.