Chancen im KI-Müll
Von Alexander von Streit
Es ist ja nicht so, dass es bislang im Journalismus zu wenig Baustellen gab: Die Mediennutzung verändert sich seit Jahren immer schneller, die traditionellen Erlösmodelle für journalistische Produkte greifen nicht mehr – und es hat lange gedauert, bis die Erkenntnis darüber endlich Bewegung in die Branche gebracht hat. Und jetzt auch die Sache mit der sogenannten Künstlichen Intelligenz, die wie ein Turboantrieb die digitale Transformation noch einmal beschleunigen wird.
Diese Technologien werden uns als Gesellschaft dauerhaft beschäftigen und dabei in vielen Bereichen unseres Lebens neue Rahmenbedingungen schaffen. Auch den Journalismus wird das nachhaltig betreffen. Zum Teil passiert das schon. Es wird zurzeit viel ausprobiert in den Redaktionen – und das ist auch wichtig, um das Potenzial dieser technologischen Umwälzung erkennen und proaktiv mitgestalten zu können. Klar ist aber auch, dass der Journalismus dadurch weiter unter Druck geraten wird.
Verstopfung des digitalen Raums
Journalistische Produktion wird künftig immer mehr mit Technologien aus dem Bereich generischer KI-Modelle zu tun haben. Sie können uns Arbeit abnehmen, manche Dinge vielleicht sogar besser machen als wir. Und wenn Medienhäuser bereits Stellenabbau mit dem Hinweis versehen, dass einige der abgeschafften Jobs künftig durch KI-Technologien erledigt werden sollen – so zumindest wird aus einer Mail von Bild-Chefredakteurin Marion Horn an die Belegschaft zitiert –, dann zeigt das, wohin der Weg führen kann.
Tatsächlich sollten Medienhäuser ihre Belegschaften besser vergrößern als abbauen, wenn sie künftig mit Journalismus noch eine relevante Rolle spielen wollen. Denn der Einzug von KI-Technologien in die journalistische Produktion wird die sowieso schon große Menge an Content im Netz rapide vergrößern. Es ist nicht auszuschließen, dass wir irgendwann eine regelrechte Verstopfung des digitalen Raums mit automatisiert erzeugten Inhalten erleben werden. Reichweitenorientierte Medien werden in dieses Wettrennen einsteigen oder es sogar starten.
Aber wir werden vor allem auch viele neue Player sehen, die mit KI-basierten Plattformen den Markt überrollen. Und journalistische Angebote werden darin schnell unkenntlich werden, wenn sie nicht mit ihrer Kernkompetenz dagegenhalten.
Ankerpunkt für entnervte Medienkonsumenten
Vertrauenswürdige Medienmarken, die dieses Wettrennen nicht mitspielen, können eine resiliente Antwort darauf sein. Denn es ist zu befürchten, dass Medienkonsumenten angesichts der Content-Vermüllung irgendwann entnervt das Handtuch werfen.
Was sollen sie noch lesen, ansehen, anhören? Welche Inhalte sind relevant, welche nicht? Es kann gut sein, dass sie sich die Welt dann irgendwann lieber direkt von Chat-GPT und ähnlichen Diensten erklären lassen. Oder eben doch von der journalistischen Marke, zu der sie eine enge und vertrauensvolle Beziehung haben. Daran zu arbeiten, ist die beste Chance, die wir haben.
Alexander von Streit ist Journalist und Mitgründer des Onlinemagazins Krautreporter. Gemeinsam mit Stephan Weichert leitet er das VOCER Institut für Digitale Resilienz, das Bildungsprogramme und systemische Beratung anbietet. (mehr zu Alexander von Streit)