Gemein- statt Eigennutz
Von Leif Kramp
Das Jahr 2009 markierte eine Trendwende in der Selbstwahrnehmung der Journalismusbranche: Der Verlegerverband BDZV, der damals noch nicht die Digitalpublisher im Namen führte, rief das „schwierigste Jahr in der Geschichte der Zeitungen“ aus. Festgemacht wurde die Krisendiagnostik an seit Jahren kontinuierlich sinkenden Auflagenzahlen und einem scharfen Einbruch der Anzeigenvolumina. Seitdem verging kein Jahr, in dem nicht mit der Krise des Journalismus gehadert wurde.
Aber steht es tatsächlich so schlimm um die journalistische Profession? Zweifellos gab es allzu lange keine neuen Geschäftsmodelle für die sich rasant verändernde digitale Medienumgebung. Geht es aber nur um die Kompensation wegfallender Erlöse, den Erhalt etablierter Unternehmensstrukturen? Dem Journalismus ging es nie besser, ließe sich behaupten: Im Netz lässt sich das an vielen spannenden Neu- und Ausgründungen beobachten, aber auch an den in Summe hohen Nutzungszahlen konventioneller Online-Nachrichtenangebote. Gerade in epochalen Krisen erweist sich das Interesse der Bevölkerung an solider journalistischer Information als nachdrücklich hoch.
Enttäuschungsspirale bei Verleger:innen und Publikum
Allein: die Rendite sinkt. Mit dem US-Medienökonom Robert Picard darf daran erinnert werden: „Der Journalismus ist kein Geschäftsmodell, keine Arbeitsstelle, kein Unternehmen, keine Branche, keine Medienart und kein Distributionssystem. Im Kern ist Journalismus eine Aktivität.“ Allerdings: Aktivitäten brauchen Antriebe, neben idealistischen auch finanzielle. Journalismus leidet vor allem unter der unternehmerischen Krise eines Großteils seiner Träger. Unheilbringend verknoten sich zwei Entwicklungen zu einer Enttäuschungsspirale: Jene der Verleger:innen über sinkende Umsatzerlöse und jene des Publikums über die sinkende Qualität journalistischer Angebote durch weitere Einsparungen.
Auf Seite 97 im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht ein Halbsatz mit Signalwirkung: „Wir schaffen Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus […]“. Gemeinnützig sein kann nicht jeder, zumindest nicht nach steuerlichen Kriterien. Die Liste an Förderzwecken ist begrenzt: von Wissenschaft und Forschung über Bildung und Erziehung, Kunst und Kultur, Jugendhilfe, Völkerverständigung bis hin zu Kleingärtnerei, Modellflug, Hundesport und einigem mehr. Wieso aber kann es sich für den Journalismus lohnen, die Allgemeinheit selbstlos zu fördern? Zunächst winken steuerliche Begünstigungen, sogar eine teilweise Freistellung. Es wäre darüber hinaus auch ein klares Bekenntnis zur Profession, eine rigorose Verpflichtung zur Herstellung kritischer Öffentlichkeit ohne gewinnorientierten Beigeschmack.
Mut durch Gemeinwohlorientierung im Journalismus
Antrieb wäre nicht ein wie auch immer ausgeprägtes Streben nach Rendite, sondern die ausschließliche Steigerung des Gemeinwohls. Das wäre kein Abschied vom Geldverdienen: Auch gemeinnütziger Journalismus kostet (viel) Geld, braucht ordentlich bezahlte Anreize für leistungsbereites Personal. Gemeinnütziger Journalismus muss deshalb weder kostenlos angeboten werden, noch darf er zwingend keine anderen Umsätze erzielen. Ließe sich darüber in der Bevölkerung nicht auch die Zahlungsbereitschaft für digitalen Journalismus erhöhen?
Ein weiterer Vorteil: Gemeinnützige Organisationen sind zuwendungsberechtigt, dürfen Spenden und Fördergelder annehmen und entsprechende steuermindernde Bescheinigungen an ihre Mittelgeber ausgeben. Gewinne würden aber nicht ausgeschüttet, sondern konsequent in den journalistischen Satzungszweck gesteckt: Investitionen, die unmittelbar der redaktionellen Arbeit und damit ihrer Qualität und Zukunftssicherheit zugutekommen.
Auch wenn die Erweiterung der Abgabenordnung um den Förderzweck journalistischer Praxis noch nicht viel mehr ist als eine politische Willensbekundung: Mehr Glaube in und Bereitschaft zur Gemeinwohlorientierung im Journalismus dürfte im digitalen Medienwandel zumindest gehörigen Mut machen.
Leif Kramp forscht und lehrt am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung (ZeMKI) der Universität Bremen. Gemeinsam mit Alexander von Streit und Stephan Weichert setzt er sich bei Vocer für eine Förderung der Widerstandsfähigkeit von Journalist:innen und Medienorganisationen in Zeiten des tiefgreifenden Medienwandels ein.