Zusammen stark sein
Von Leif Kramp
„Das Fass war voll“: Wieder ein resignierter Schlussstrich unter eine journalistische Karriere. Im Verlag laufe so viel falsch, es sei einfach unfassbar. So steht es in einer freundschaftlichen Mail zum Jahresende. Was treibt Journalist:innen eigentlich dazu, die Seiten zu wechseln, den Ausstieg zu wagen, ihren Traumberuf aufzugeben? Nicht selten stauen sich Frustration und Perspektivlosigkeit zu einer latenten Unzufriedenheit auf, die genährt wird durch starre Strukturen, redaktionelle Beharrungskräfte und beruflichen Stillstand. Das Bild vom Hamsterrad drängt sich auf.
Die anekdotische Evidenz des Einzelfalls soll nicht darüber hinwegtäuschen, wie agil und experimentierfreudig viele Redaktionen hierzulande der digitalen Transformation begegnen. Ebenso aber gilt, dass der Innovationsmotor vielerorts noch stottert und Medienwandel eher als Bedrohung denn als Chance gesehen wird.
Zusammenhalt und Austausch sind gefagt
Redaktionen sind hochkomplexe soziale Gebilde – mit allen Stärken und Schwächen. Die Redaktionsorganisation war die wohl nachhaltigste journalistische Innovation des 20. Jahrhunderts. Heute ist sie Rückgrat und Hemmschuh zugleich: Die etablierten Ordnungen garantieren verlässliche Abläufe, klare Zuständigkeiten und harten Wettbewerb. Doch können Hierarchien zu Machtgefällen, Routinen zu blinden Gewohnheiten verkommen. Was leicht auf der Strecke bleibt und letztlich mit hohem Aufwand gegen strukturelle Widerstände zurückgewonnen werden muss, sind der Enthusiasmus, die Motivation und die Fähigkeit des journalistischen Personals, gemeinsam Neues zu wagen.
Journalist:innen, die es sich – zeitlich wie finanziell – leisten können und wollen, brechen zumindest kurzzeitig aus und gehen auf die Suche nach inspirativem Austausch, bereisen Journalismusfestivals, Barcamps, Meetups, Retreats, absolvieren Fellowships, buchen Weiterbildungen. Sie finden als Netzwerker:innen neue Impulse, lassen sich irritieren, werden mit Widersprüchen konfrontiert, aber auch mit Ansätzen, die sie in ihrer journalistischen Arbeit weiterbringen.
Und sie treffen auf gleichgesinnte Kolleg:innen, mit denen sie etwas reißen können. Zusammenhalt und Austausch sind gefragt, auch über Konkurrenzbedenken hinweg. Wer Journalist:innen vorbehaltlos gemeinsame Projekte entwickeln lässt, investiert langfristig in eine starke Währung: die Zukunftsfähigkeit und Alleinstellungsmerkmale eines Journalismus, der im digitalen Content-Wettbewerb heraussticht.
Handhabbare kollegiale Projekte mit skalierbaren Effekten
Die journalistische Praxis kann davon nur profitieren, wenn Erfahrungen und Ideen gebündelt werden. Co-Creation präsentiert sich als echte Chance, wenn Journalist:innen verschiedener Häuser ihre Expertise kombinieren, zusammen mit Software-Entwickler:innen die Köpfe rauchen lassen und auch noch Nutzer:innen einbeziehen, um Bedürfnisse und Erwartungen zu schürfen. Skalierbar sind die Effekte in vielerlei Hinsicht: handwerklich-praktisch, weil typische Herausforderungen der digitalen Medienumgebung aus verschiedenen Blickwinkeln neu bewertet und angegangen werden; substanziell-wirtschaftlich, weil Ressourcen und Erkenntnisse geteilt werden; aber auch psychisch, wenn zu spüren ist, dass die gemeinschaftliche Basis trägt.
Kooperation sichert ab. Charmant daran ist, dass Herausforderungen auf diese Weise nicht zu Problemen werden, die sich zu Monstrositäten auswachsen, sondern in handhabbare kollegiale Projekte münden. Journalismus wird durch co-kreative Workflows robuster, abwechslungsreicher, nahbar. Wir sollten in Zukunft mehr miteinander sprechen – und handeln.
Leif Kramp forscht und lehrt am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung (ZeMKI) der Universität Bremen. Gemeinsam mit Alexander von Streit und Stephan Weichert setzt er sich bei Vocer für eine Förderung der Widerstandsfähigkeit von Journalist*innen und Medienorganisationen in Zeiten des tiefgreifenden Medienwandels ein.